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Ronge-Brief: Offenes Sendschreiben 1844



Offenes Sendschreiben an den Herrn Wilh. Arnoldi, Bischof zu Trier

 
Laurahütte, den 1. Oktober 1844

Was eine Zeitlang wie Fabel, wie Mähre an unser Ohr geklungen, dass der Bischof Arnoldi von Trier ein Kleidungsstück, genannt der Rock Christi, zur Verehrung und religiösen Schau ausgestellt, Ihr habt es schon gehört, Christen des 19. Jahrhunderts, Ihr wisst es, deutsche Männer, Ihr wisst es, deutsche Volks- und Religionslehrer, es ist nicht Fabel und Mähre, es ist Wirklichkeit und Wahrheit.
Denn schon sind, nach den letzten Berichten, fünfmalhunderttausend Menschen zu dieser Reliquie gewallfahrtet, und täglich strömen andere Tausende herbei, zumal, seitdem erwähntes Kleidungsstück Kranke geheilt, Wunder gewirkt hat. Die Kunde davon dringt durch die Lande aller Völker, und in Frankreich haben Geistliche behauptet: „Sie hätten den wahren Rock Christi, der zu Trier sei unecht.“ Wahrlich, hier finden die Worte Anwendung: „Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verlieren kann, hat keinen zu verlieren.“
Fünfmalhunderttausend Menschen, fünfmalhunderttausend verständige Deutsche sind schon zu einem Kleidungsstücke nach Trier geeilt, um dasselbe zu verehren oder zu sehen! Die meisten dieser Tausende sind aus den niederen Volksklassen, ohnehin in großer Armut, gedrückt, unwissend, stumpf, abergläubisch und zum Teil entartet, und nun entschlagen sie sich der Bebauung ihrer Felder, entziehen sich ihrem Gewerbe, der Sorge für ihr Hauswesen, der Erziehung ihrer Kinder, um nach Trier zu reisen zu einem Götzenfeste, zu einem unwürdigen Schauspiele, das die römische Hierarchie aufführen lässt. Ja, ein Götzenfest ist es, denn viele Tausende der leichtgläubigen Menge werden verleitet, die Gefühle, die Ehrfurcht, die wir nur Gott schuldig sind, einem Kleidungsstücke zuzuwenden, einem Werke, das Menschenhände gemacht haben. Und welche nachteiligen Folgen haben diese Wallfahrten?
Tausende der Wallfahrer darben sich das Geld ab für die Reise und für das Opfer, das sie dem heiligen Rock, d. h. der Geistlichkeit spenden. Sie bringen es mit Verlusten zusammen oder erbetteln es, um nach der Rückkehr zu hungern, zu darben oder von den Anstrengungen der Reise zu erkranken. Sind diese äußern Nachteile schon groß, sehr groß, so sind die moralischen noch weit größer. Werden nicht manche, die durch die Reisekosten in Not geraten sind, auf unrechtmäßige Weise sich zu entschädigen suchen? Viele Frauen und Jungfrauen verlieren die Reinheit ihres Herzens, die Keuschheit, den guten Ruf, zerstören dadurch den Frieden, das Glück, den Wohlstand ihrer Familie.
Endlich wird durch dieses ganz unchristliche Schauspiel dem Aberglauben, der Werkheiligkeit, dem Fanatismus und was damit verbunden ist, der Lasterhaftigkeit Tor und Angel geöffnet. Dies der Segen, den die Ausstellung des heiligen Rockes verbreitet, von dem es im übrigen ganz gleich ist, ob er echt oder unecht.
Und der Mann, der dieses Kleidungsstück, ein Werk, das Menschenhände gemacht, zur Verehrung und Schau öffentlich ausgestellt hat, der die religiösen Gefühle der leichtgläubigen, unwissenden oder der leidenden Menge irre leitet, der dem Aberglauben, der Lasterhaftigkeit dadurch Vorschub leistet, der dem armen hungernden Volke Gut und Geld entlockt, der die deutsche Nation dem Spotte der übrigen Nationen preisgibt, und der die Wetterwolken, die ohnehin sehr schwer und düster über unseren Häuptern schweben, noch stärker zusammenzieht, dieser Mann ist ein Bischof, ein deutscher Bischof, es ist der Bischof Arnoldi von Trier. Bischof Arnoldi von Trier, ich wende mich darum an Sie und fordere Sie kraft meines Amtes und Berufes als Priester, als deutscher Volkslehrer und im Namen der Christenheit, im Namen der deutschen Nation, im Namen der Volkslehrer auf, das unchristliche Schauspiel der Ausstellung des heiligen Rockes aufzuheben, das erwähnte Kleidungsstück der Öffentlichkeit zu entziehen und das Ärgernis nicht noch größer zu machen, als es schon ist! - Denn wissen Sie nicht - als Bischof müssen Sie es wissen, - dass der Stifter der christlichen Religion seinen Jüngern und Nachfolgern nicht seinen Rock, sondern seinen Geist hinterließ? Sein Rock, Bischof Arnoldi von Trier! gehört seinen Henkern!
Wissen Sie nicht, - als Bischof müssen Sie es wissen, - dass Christus gelehrt: “Gott ist ein Geist und wer ihn anbetet, soll ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten?“ Und überall kann er verehrt werden, nicht etwa bloß zu Jerusalem im Tempel, auf dem Berge Garizim oder zu Trier beim heiligen Rocke. Wissen Sie nicht, - als Bischof müssen Sie es wissen, - dass das Evangelium die Verehrung jedes Bildnisses, jeder Reliquie ausdrücklich verbietet?, dass die Christen der Apostelzeit und der ersten drei Jahrhunderte weder ein Bild noch eine Reliquie (sie konnten deren doch viele haben!) in ihren Kirchen duldeten?, dass die Verehrung der Bilder und Reliquien heidnisch ist, und dass die Väter der ersten drei Jahrhunderte die Heiden deshalb verspotteten?. Z. B. heißt es (div. inst. II., c 2): die Bildnisse sollten doch eher, wenn sie Leben hätten, die Menschen verehren, von denen sie gemacht sind, nicht umgekehrt. (Nec intelligunt homines ineptissimi, quod si sentire simulacra et moveri possent, adoratura hominem fuissent a quo sunt expolita.) Endlich, wissen Sie nicht, - als Bischof müssen Sie auch dies wissen, - dass der gesunde kräftige Geist der deutschen Völker sich erst im 13. und 14. Jahrhundert durch die Kreuzzüge zu Reliquienverehrung erniedrigen ließ, nachdem man in ihm die hohe Idee, welche die christliche Religion von der Gottheit gibt, durch allerlei Fabeln und Wundergeschichten, aus dem Morgenlande gebracht, verdunkelt hatte? Sehen Sie, Bischof Arnoldi von Trier, dies wissen Sie und wahrscheinlich besser, als ich es Ihnen sagen kann. Sie kennen auch die Folgen, welche die götzenhafte Verehrung der Reliquien und der Aberglaube überhaupt für uns gehabt hat, nämlich Deutschlands geistige und äußere Knechtschaft, und dennoch stellen Sie Ihre Reliquie aus zur öffentlichen Verehrung!
Doch, wenn Sie vielleicht dies Alles nicht wüssten, wenn Sie nur das Heil der Christenheit durch die Ausstellung der trierschen Reliquie erzielten; so haben Sie doch eine doppelte Schuld dabei auf Ihr Gewissen geladen, von der Sie sich nicht reinigen können. Ein Mal ist es unverzeihlich von Ihnen, dass Ihnen, dass Sie, wenn dem bewussten Kleidungsstücke wirklich eine Heilkraft beiwohnt, der leidenden Menschheit dieselbe bis zum Jahre 1844 vorenthalten haben. Zum anderen ist es unverzeihlich, dass Sie Opfergeld von den Hunderttausenden der Pilger nehmen. Oder ist es nicht unverzeihlich, dass Sie als Bischof Geld von der hungernden Armut unseres Volkes annehmen? Zumal Sie erst vor einigen Wochen gesehen haben, dass die Not Hunderte zu Aufruhr und zu verzweifeltem Tode getrieben hat?
Lassen Sie sich im übrigen nicht täuschen durch den Zulauf von Hunderttausenden und glauben Sie mir, dass, während Hunderttausende der Deutschen voll Inbrunst (?) nach Trier eilen, Millionen gleich mir von tiefem Grauen und bitterer Entrüstung über Ihr unwürdiges Schauspiel erfüllt sind.
Diese Entrüstung findet sich nicht etwa bloß bei einem oder dem anderen Stande, bei dieser oder jener Partei; sondern bei allen Ständen, ja selbst bei dem katholischen Priesterstande. Daher wird Sie das Gericht eher ereilen, als Sie vermuten. Schon ergreift der Geschichtsschreiber den Griffel und übergibt ihren Namen, Arnoldi, der Verachtung bei Mit- und Nachwelt und bezeichnet Sie als den Tetzel des 19. Jahrhunderts! - Sie aber, meine deutschen Mitbürger, ob Sie nahe oder fern von Trier wohnen, wenden Sie alles an, dass dem deutschen Namen nicht länger eine solche Schmach angetan werde. Sie haben Stadtverordnete, Gemeindevorsteher, Kreis- und Landstände, wohlan, wirken Sie durch dieselben. Suchen Sie ein Jeder nach Kräften und endlich ein Mal entschieden der tyrannischen Macht der römischen Hierarchie zu begegnen und Einhalt zu tun. Denn nicht bloß zu Trier wird der moderne Ablasskram getrieben, Sie wissen es ja, im Ost und West, im Nord und Süd werden Rosenkranz-, Mess-, Ablass-, Begräbnisgelder und dergl. eingesammelt, und die Geistesnacht nimmt immer mehr überhand.
Gehen Sie alle, ob Katholiken oder Protestanten, an's Werk, es gilt unsere Ehre, unsere Freiheit, unser Glück. Erzürnen Sie nicht die Manen Ihrer Väter, welche das Capitol zerbrachen, indem Sie die Engelsburg in Deutschland dulden. Lassen Sie nicht die Lorbeerkränze eines Huß, Hutten, Luther beschimpfen. Leihen Sie Ihren Gedanken Worte und machen Sie Ihren Willen zur Tat. - Endlich Sie, meine Amtsgenossen, die Sie das Wohl Ihrer Gemeinden, die Ehre, die Freiheit, das Glück Ihrer deutschen Nation wollen und anstreben, schweigen Sie nicht länger, denn Sie versündigen sich an der Religion, an dem Vaterlande, an Ihrem Beruf, wenn Sie länger schweigen und wenn Sie länger zögern, Ihre bessere Überzeugung zu betätigen. Schon habe ich ein anderes Wort an Sie gerichtet, darum für jetzt nur diese wenigen Zeilen. Zeigen Sie sich als wahre Jünger Dessen, der alles für die Wahrheit, das Licht und die Freiheit geopfert; zeigen Sie, dass Sie seinen Geist, nicht seinen Rock geerbt haben.
 
Johannes Ronge, katholischer Priester



Faksimile des Ronge-Briefes in Großansicht
Ronge-Brief



Tuch mit dem Text des Ronge-Briefes von 1844 in Großansicht
Ronge-Brief als Tuch

            (Original Freireligiöse Gemeinde Ludwigshafen)
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