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Freireligiöses Quellenbuch
- Band 1 -
1844 – 1926
Eine Sammlung grundlegender Texte
über Inhalt und Ziele Freier Religion
zusammengestellt von Lothar Geis (Hrsg.)
Selbstverlag Freireligiöse Gemeinde Mainz
1. Auflage: Mai 2006
Selbstverlag
Freireligiöse Gemeinde Mainz
Gartenfeldstraße 1, 55118 Mainz
Tel.: 0 61 31 / 67 49 40
E-Mail:
Internet: www.freireligioese-gemeinde-mainz.de
Welche Religion ich bekenne?
Keine von allen, die du mir nennst!
Und warum keine?
Aus Religion
Friedrich Schiller
Religion ist das von Ehrfurcht
und Vertrauen getragene
Verhältnis zum Dasein
und das daraus
entspringende sittliche
Verantwortungsbewusstsein
Freireligiöse Religionsdefinition
Als im November 1989 die Quellensammlung freireligiöser Thesen die Druckerei verließ, sah es fast so aus, als ob damit alle in der Vergangenheit veröffentlichten Thesen zum Freireligiössein aufgefunden und dokumentiert seien. Lag es am geschärften Blick, oder war es lediglich glücklicher Zufall, dass in der nachfolgenden Zeit noch eine beachtliche Zahl weitere, bereits vergessene, freireligiöse Thesen in alten Veröffentlichungen aufgefunden werden konnten? Sicherlich war es beides. Damit erwies sich die Behauptung der nahezu erreichten Vollständigkeit im Vorwort der ersten Auflage im Nachhinein als zu vollmundig.
Die Hoffnung, vor allem aus Kreisen der Leser weitere Hinweise zu erhalten, hat sich nicht erfüllt. Außer gelegentlichen zustimmenden Äußerungen und Aufmunterungen wurden mir auf diesem Wege keine weiteren Thesen bekannt. Es ist daher anzunehmen, dass solche Thesen bei Freireligiösen privat nicht mehr zur Verfügung stehen.
Darüber hinaus zeigte sich noch etwas anderes. Während der Suche nach weiteren Thesen von listenartigem Charakter stieß ich immer wieder auf sehr gut ausgearbeitete grundlegende Artikel, so dass der Entschluss, diese mit zu berücksichtigen, sich nahezu von selbst ergab. Damit ist aus der Quellensammlung ein Quellenbuch geworden. So sehr dies vom Inhalt und auch von der Chronologie her zu begrüßen ist, rückt damit jedoch die Idealvorstellung eines vollständigen Quellenbuches aus dem Blickwinkel, denn mir ist niemand bekannt, der von sich behaupten kann, alle freireligiösen Veröffentlichungen zu kennen. Eine wissenschaftliche Gesamtdokumentation aller freireligiösen Schriften steht noch aus. So bleibt es beim vorliegenden Quellenbuch, das lediglich den Anspruch erfüllt, viele Quellen berücksichtigt zu haben.
Insgesamt bin ich von der Wichtigkeit einer solchen Sammlung für uns Freireligiöse überzeugt. Ohne Kenntnis der Gedanken und Ideen der Vergangenheit kann es keine Zukunft geben. Ich halte es für erhellend, aufzuzeigen, was die Freireligiösen vor uns bewegte, was ihnen wichtig war beziehungsweise woran sie ihre Standpunkte fest machten.
In diesen Zusammenhang passt ein Ausspruch Goethes, dessen Genie immer gerne bemüht wird, um eigenen Gedanken Tiefe zu verleihen, und der mir trotz solcher „Missbräuchlichkeiten“ dennoch gefällt.
Der Dichter sagt in „Maximen und Reflexionen“
„Eine Chronik schreibt nur derjenige, dem die
Gegenwart wichtig ist“.
(Aus Kunst und Altertum, 1826)
Dem lässt sich nichts hinzufügen.
Zudem scheint mir die Aufklärung darüber, was wirklich freireligiös ist, nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für manche Freireligiöse hilfreich zu sein. Gelegentlich habe ich nämlich Auffassungen über wesentliche Themen Freier Religion gelesen, die mir wirklich frei erschienen, nämlich frei von Wissen um Herkunft, Entwicklung und Stand freireligiöser Auffassungen. Ich würde mir deshalb wünschen, dass diejenigen, die es zu öffentlicher Meinungsäußerung drängt, zuvor die Möglichkeit nutzen, einmal nachzulesen, was früher einmal schon aus eigenen Reihen geäußert worden ist.
Infolge der Aufnahme der wichtigsten historischen freireligiösen Publikationen war es nicht zu vermeiden, das Quellenbuch auf zwei Bände zu erweitern. Der erste Band umfasst den Zeitraum von 1844 bis 1926. Das Quellenmaterial für den zweiten Band liegt bereits vor, die Fertigstellung wird vorbereitet.
Die Rechtschreibung wurde, soweit vertretbar, aktualisiert; Angaben in eckigen Klammern [ ] beinhalten eigene Hinzufügungen im grammatisch klärendem Sinn.
Zusammen mit der Freireligiösen Gemeinde Mainz, die dankenswerter Weise die Herausgabe übernommen hat, verbinde ich mit Erscheinen des Freireligiösen Quellenbuches die Hoffnung auf einen positiven Beitrag für die Zukunft der Freireligiösen.
Lothar Geis Mai 2006
PS.
Ich möchte an dieser Stelle nicht versäumen,
Helmut Schott für die nicht ganz einfache
Endkorrektur des gesamten Textes meinen
besonderen Dank auszusprechen.
Der vorliegende Band ist eine Zusammenfassung grundsätzlicher thesenhafter Erklärungen über freireligiöse Religions- und Weltanschauung von der Gründung erster freier Gemeinden bis heute. Obgleich diese Sammlung Ergebnis jahrelanger Suche ist, kann nicht von deren Vollständigkeit ausgegangen werden, denn die genaue Anzahl der in der Vergangenheit verfassten Leitsätze, Richtlinien oder wie immer solche Thesen genannt wurden, bleibt vorläufig unbekannt.
Das Material ist chronologisch angeordnet, um sowohl Rahmen als auch Entwicklung, Wandel und Stetigkeit freireligiöser Standpunkte aufzuzeigen.
Gleichzeitig lassen sich damit bestimmte Strömungen des jeweiligen Zeitgeistes deutlich machen, die heute historisch-geistesgeschichtlich aufzuarbeiten wären. Verschiedene Grundsatzerklärungen wurden, besonders bei Informationsschriften von Gemeinden oder Gemeindeverbänden, um die Adressangaben und organisatorische Hinweise sowie um den nicht religiös-weltanschaulichen Teil gekürzt.
Dem aufmerksamen Leser wird auffallen, dass die im folgenden aufgeführten Thesen sowohl von freireligiösen Gemeinschaften als auch von Personengruppen, bspw. freireligiöse Religionslehrer, und Einzelpersonen stammen. Da es sich dabei immer um Dokumente „freireligiösen Glaubens“ (im Sinne von für wahr halten) handelt, wurden sie als gleichwertig mit einbezogen. Das gilt auch für Frage- und Antwort-Kataloge aus dem freireligiösen Religionsunterricht.
Für die Berücksichtigung der Beiträge war allein deren thesenhafter Charakter das ausschlaggebende Kriterium. Inwieweit dieses Kennzeichen sinnvoll ist, darüber kann man geteilter Meinung sein, denn es gibt in den freireligiösen Publikationsorganen der Vergangenheit eine beträchtliche Anzahl hervorragender Artikel zum Wesen Freier Religion, die deshalb unberücksichtigt bleiben mussten. Andererseits ist es gerade die Meinung des Unterzeichnenden, dass die Zusammenstellung solcher thesenhafter Erklärungen in besonderer Weise geeignet ist, über Freie Religion zu informieren.
Mit dieser Konzeption wird natürlich nicht versucht, einen „Freireligiösen Katechismus“ einführen zu wollen. Es bedarf wohl keiner weiteren Erklärung, dass allein schon der Versuch dem Wesen Freier Religion widersprechen würde.
Damit wird ein bei manchen Freireligiösen fast schon neurotischer Punkt berührt, auf den hier deshalb kurz eingegangen werden soll.
Katechese in der Form, wie sie in dogmatischen Religionsformen Praxis ist, abzulehnen (weil sie unveränderbare Bekenntnisformeln enthält), kann nicht bedeuten, auf jegliche Weitergabe von Informationen verzichten zu müssen. Es geht vielmehr darum, die geistesgeschichtliche Entwicklung der Freireligiöse zu dokumentieren, um die bislang geäußerten, zum Teil verschiedenartigen Standpunkte immer wieder reflektieren zu können. Dies gilt in besonderem Maße für alle, die in der praktischen Gemeindearbeit damit konfrontiert werden - also für die hauptamtlichen Pfarrer/Prediger/Sprecher und die ehrenamtlich Tätigen sowie alle Gemeindemitglieder, denen die Beschäftigung mit den Auffassungen der Freien Religion ein Bedürfnis ist.
Die Thesensammlung ist damit als Arbeitsgrundlage für diejenigen gedacht, welche die immer wieder postulierte Dogmenlosigkeit Freier Religion nicht länger mehr als leere Floskel benutzen wollen, sondern heute und in Zukunft religiös Stellung beziehen möchten. Freireligiöse müssen bekanntlich bei Vorliegen besserer Argumente bereit sein, religiöse Standpunkte unter Anwendung größtmöglicher Toleranz nach demokratischen Regeln zu verändern. Leider entstand in der Vergangenheit oft der Eindruck, man habe dies vergessen und sich stattdessen nur auf die Verneinung vor allem christlicher Standpunkte beschränkt. Wer jedoch nur reagiert, ohne Alternativen aufzuzeigen, darf sich über mangelnde Öffentlichkeitswirksamkeit nicht wundern; wer darüber hinaus den Anspruch einer dogmenfreien Religion vertritt, kann in religiös-weltanschaulichen Dingen nicht unverbindlich bleiben.
Dogmenlosigkeit verpflichtet geradezu zur Stellungnahme. Dogmen sind ihrem Wesen nach nicht veränderbar. Standpunkte hingegen - auch wenn sie schriftlich niedergelegt sind - können jederzeit überarbeitet und neu gefasst werden. Nur wer bereit ist, einmal formulierte Standpunkte immer wieder auf ihre Vertretbarkeit hin zu überprüfen und gegebenenfalls für jedermann erkennbar auch zu revidieren, verdient, als nicht dogmatisch eingestuft zu werden.
Wenn die Freireligiösen behaupten, eine dynamische und deshalb neuen Erkenntnissen gegenüber anpassungsfähige Religionsauffassung zu haben, ist es für sie geradezu unabdingbar ihre religiösen Standpunkte aufzuschreiben, damit diese auch jederzeit kritisierbar sind. Nur so bleibt die Behauptung der Dogmenfreiheit glaubwürdig.
Ein weiterer Aspekt für die Zusammenstellung freireligiöser Thesen ist die der Verfügbarkeit. Die Originalliteratur ist gegenwärtig nur noch wenigen zugänglich. Es bleibt deshalb vorauszusehen, dass - wenn man sie weiterhin nicht beachtet - viele Themen bald der Vergessenheit anheimfallen. Dies zu verhindern, ist unzweifelhaft Aufgabe der Freireligiösen.
Insgesamt verbinden sich folgende Ziele und Hoffnungen mit der Zusammenfassung freireligiöser Thesen:
1. Dokumentation möglichst aller Thesen von der Gründung erster freier Gemeinden bis heute als Sicherungsmaßnahme zur Erhaltung für die nach uns Kommenden.
2. Die Hoffnung, auf noch nicht bekannte Thesen aufmerksam gemacht zu werden, und damit das Erreichen des Ziels einer (möglichst) lückenlosen historischen Dokumentation.
3. Eine Möglichkeit zur Überprüfung heutiger Standpunkte und Ziele Freier Religion zu schaffen.
4. Aufzeigen der geistesgeschichtlichen Entwicklung der freireligiösen Bewegung bis heute und damit zum Beispiel Beantwortung der Fragen:
· Welche Richtungen gab und gibt es?
· Worin besteht Übereinkunft?
· Bei welchen Auffassungen gab es Trennendes?
· Gab es Abweichungen von der ursprünglichen Richtung?
· Gab es Fehlentwicklungen?
· Wo lagen und liegen die Schwachstellen?
5. Wie könnte eine knapp gefasste, aber umfassende Ausarbeitung als Grundlage für eine Informations- und Werbestrategie aussehen?
Abschließend sind noch einige Bemerkungen über die vorliegende Thesensammlung angebracht. Es wird Wert auf die Feststellung gelegt, dass es sich dabei um eine vorläufige, weil sicherlich noch nicht vollständige Zusammenfassung handelt.
Die meisten Beiträge sind, der besseren Lesart wegen, mit Schreibmaschine abgeschrieben und dadurch gleichzeitig auf DIN A5-Format gebracht worden. Der Vorteil des kleinen Formates ergibt sich aus der damit verbundenen kostengünstigeren fotomechanischen Vervielfältigung. Die Zahl der Vervielfältigungen ist ziemlich gering gewählt worden; dennoch zwang der Umfang des Materials zum Binden der Seiten.
Es wäre schön, wenn dieser ersten Zusammenfassung, nach entsprechender Ergänzung noch nicht berücksichtigter Thesen, später einmal eine richtige Veröffentlichung in Form eines sogenannten Quellenbuches folgen könnte.
Möge bis dahin die Broschüre dazu beitragen, das Religionsverständnis der Freireligiösen wieder deutlicher als in den letzten Jahren zutage treten zu lassen. Ich persönlich hoffe auf eine Belebung der Diskussion über die Wesensbestimmung Freier Religion, denn gerade von dem Ringen um religiöse Fragen innerhalb der Gemeinden kann auch eine positive Kraft nach außen, in eine uns immer noch wenig wahrnehmende Gesellschaft ausgehen.
Darin liegt eine Chance. Wer Öffentlichkeitsarbeit und Werbung für Freie Religion möchte, kann dies meines Erachtens nur über den mühevollen Weg erreichen, der zuerst in der internen Diskussion seinen Anfang nimmt. Die demokratische Struktur Freireligiöser Gemeinden ist in diesem Zusammenhang der größte Vorteil, über den wir verfügen. Nutzen wir ihn.
Lothar Geis
Mainz, Oktober 1989
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Zur raschen Information über die Freireligiösen.
durch Prof. Dr. Ernst Benz,
Leiter des
Ökumenischen Seminars
der Theologischen Fakultät
der Philipps-Universität Marburg/Lahn,
Fach Kirchengeschichte und Konfessionskunde
1952
Die Freireligiöse Bewegung ... ist aus der deutsch-katholischen Bewegung hervorgegangen, die der katholische Pfarrer Ronge 1845 ins Leben rief.
Die deutsch-katholische Bewegung hatte ursprünglich die Absicht, eine freiere Form des Christentums darzustellen. Ihre Kritik an den Dogmen der römisch-katholischen Kirche, gegen die sich zunächst der Widerspruch Ronges erhob, führte aber sehr bald dazu, auch die Grunddogmen des Christentums selber in Frage zu stellen und kritisch zu beleuchten.
Anstelle einer ausgesprochenen Bindung an die christliche Religion trat das Bekenntnis zu einer universalen Religion, deren Wesen stark im Sinn der idealistischen Religionsphilosophie verstanden [wird.] Ein wichtiger Ausdruck dieser religiösen Einstellung [ist] die gleichmäßige Anerkennung sämtlicher geschichtlicher Religionen, die als Ausdruck und Verhüllung der Religion selbst verstanden [wird.]
Anstelle des Bekenntnisses zu einer bestimmten geschichtlichen Religion trat das Bekenntnis zum Wesen der Religion und zu einem religiösen Verständnis des Menschen und der Natur überhaupt, wobei der Gesichtspunkt völliger Geistesfreiheit betont [wird], die es dem Einzelnen [überlässt], wie er sich im Einzelnen begrifflich das Wesen der Religion verdeutlichen [will.]
Jeglicher Versuch, über die Forderung eines religiösen Verständnisses des Menschen und der Natur hinaus eine bestimmte begriffliche oder formale Definition des Religiösen festzulegen oder für die Mitglieder der Freireligiösen Bewegung verbindlich zu machen, [wird] abgelehnt.
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Das Zitat ist einem Gutachten entnommen, wo es um den Vergleich geistiger Anschauungen in Vergangenheit und Gegenwart ging. Aus diesem Grunde ist im Zitat bei den in Klammern gesetzten [........] Worten in der Ursprungsfassung die Vergangenheitsform gewählt worden.